Auf Social Media treffen wir Gleichgesinnte, sie helfen uns vielleicht eine Wohnung zu finden, zeigen uns, was in unserer Nähe so läuft. Alles toll. Keine Frage. Aber ich bin seit Jahren im Online Marketing tätig und zunehmend entsetzt davon, wie der Mensch dabei in den Hintergrund rückt. Es geht weniger um das, was Usern angezeigt wird, als vielmehr darum, wie eine Anzeige zum User kommt. Ganz grob: Unternehmen überlegen sich, wie ihre Zielgruppe aussieht und was sie ihnen wert ist. Das geben sie dann in den bekannten Netzwerken an, ihr Budget dabei ab und fertig ist die Kampagne. Wie die Netzwerke tatsächlich ausliefern, ist den wenigsten klar. Wie sie ihre Nutzer*innen zu eben diesem Produkt machen, führt sich kaum ein Werbetreibender vor Augen.
Für jeden User eine Welt
Ohne Werbung für Netflix zu betreiben, zeigt deren Produktion „The Social Dilemma“ genau das und ist für mich ein echter Filmtipp. Hier und da etwas überzeichnet und auch ein bisschen düster, doch es wird vor allem genau erklärt, wie die Algorithmen von Facebook und Co arbeiten: Für jeden User wird eine eigene kleine Welt angelegt, in der sich Nutzer*innen so lange wie möglich aufhalten sollen. Damit das klappt, zeigt der „Feed“ das was gefällt oder gefallen könnte. Nicht frei gewählt, sondern vom Algorithmus berechnet und bestimmt. Hauptsache Interaktion, Likes und Kommentare werden generiert. Das hilft dem Algorithmus bei der Auswahl der nächsten Posts und hält User im Netzwerk. Darunter leidet nicht nur die thematische Vielfalt, es entwickelt sich ein Spiel, bei dem es nur um die Aufmerksamkeit anderer Nutzer*innen geht. Das hat nicht nur Folgen für den Zusammenhalt in der Gesellschaft und was wir unter Realität verstehen, sondern auch für den Datenverbrauch. So schließe ich da an, wo der Film aufhört:
Posten für die Interaktion
Auf der Jagd nach der eben benannten Aufmerksamkeit posten User immer mehr. Denn sichtbar werden nur die Beiträge, die zum Interesse anderer passen und hohe Aussicht auf Interaktion haben. Und nur wer gute Interaktionswerte hat, wird auch gut sichtbar platziert. Was wird besonders beloht? Aggression und Katastrophieren. Ein echtes Dilemma, das zu täglichen Übertreibungen und Dokumentationen des Alltags führt – vom Foto des Mittagessens bis zu Selfies an der Bushaltestelle (beim Warten). Selbst jene, die es posten, interessieren sich nach wenigen Minuten kaum noch für ihre Bilder. Aber es muss raus, die Anerkennung rein und schon funktioniert das Spiel „Social Media“.
Was wohl jeder User ausblendet: Das alles sind Daten. Sie werden nicht nur irgendwo gespeichert, sie werden auch immer wieder von anderen Nutzer*innen geladen, um sie angezeigt zu bekommen. Auch die Werbung „springt“ entsprechend an und wird geladen. Schließlich sind wir „gratis“ unterwegs und wenn Dich etwas nichts kostet, dann bist Du das Produkt. Ich habe selbst ein kleines Experiment gemacht und von einer App messen lassen, wieviel Daten geladen werden, wenn ich eine Minute lang durch meinen News Feed bei Facebook scrolle und jeden Post angezeigt bekomme. Videos werden dabei nur angespielt. Ergebnis: Über 2,5 MB. Das klingt im ersten Moment genauso unspektakulär wie 5 g CO₂, die durch die benötigte Energie für diesen Datentransfer in etwa freigesetzt werden.
1 Minute wird zu 1.500 Tonnen CO₂
Nun bin ich nur einer von vielen. Facebook meldet für 2020 rund 25 Millionen monatlich aktive Nutzer*innen in Deutschland. Nehmen wir einmal an, dass jeder dieser User wirklich nur einmal im Monat aktiv ist und dann für eine Minute durch seinen News Feed scrollt – so wie ich heute. Dann resultieren allein aus dieser „Aktivität“ insgesamt 1.500 t CO₂ in einem Jahr. Und wir alle wissen, dass es kaum eine Hand voll Nutzer*innen mit einem solchen Aktivitätsprofil gibt. Bevor mein Beitrag eine zusätzliche Dystopie abzeichnet: Was ist das Fazit?
Jede/r von uns sollte sich bei seinem Besuch sozialer Netzwerke fragen: Was genau will ich heute hier? Was will ich heute hier? Nimm dir vor wie lange du maximal „ziellos“ treiben möchtest und was du auf jeden Fall gezielt mitteilen möchtest. Das macht uns sogar zufriedener, sagen Experten.
Wenn ich meinen Followern oder Freunden mal wieder mitteilen will, was ich so mache, ist das wirklich interessant für andere?
Worum geht es mir mit meinem Post? Verteilen User mittlerweile nicht Likes ohne hinzuschauen, weil sie wissen, dass sie Aktivität zeigen müssen, um gesehen zu werden?
Und auch wenn die Netzwerke Fotos und Videos etwas komprimieren: Liefert das Material am besten gleich komprimiert an (maximal 1.080 Pixel bei Fotos etc.). Dadurch sparen am Ende auch alle anderen Daten und damit CO₂. Wie geht das erklären wir in Kürze in unserer Wissen-Rubrik Web Tipps.
Übrigens: Wer unsere Website einmal komplett durchscrollt, liest und jede Unterseite entdeckt, braucht dafür mehr als eine Minute. Doch dafür würde aktuell aber nicht einmal 1 MB geladen (ohne externe Links und PDF-Dokumente). Bevor dir beim nächsten Mal kein echter Grund einfällt, warum du ein soziales Netzwerk tatsächlich besuchen willst, schau einfach bei uns vorbei.
Weiterführende Infos für Dich:
∷ Netflix: Das Dilemma mit den sozialen Medien
∷ Think Digital Green®: Web Tipps